Blick etwa vom Gipfelkreuz des Feldsteins der Bruchhauser Steine. Links das Massiv des Langenbergs. Im Hintergrund, Richtung Winterberg regnet es in Strömen.


„Wir haben heute Pfingstsonntag, den

 

4. Juni.

 

Liebe Leute, das ist das Nachtprogramm von Radio Hochsauerland, dem Sender vom Dach West­falens.

 Das Wetter ist wechselhaft, Regenwahrschein­lichkeit halbe-halbe. Das heißt, die eine Hälfte Regen und die Andere Niederschläge.

 Mein Name ist Konny Kracht auf Sendung mit der bekannten Mitternachts-Show „Bis es Kracht“.

 Nach der Werbung geht es weiter mit Falco und seinem Song ‚Der Kommissar‘ …“

 

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JO NIGGE hatte seine blauen Augen auf ‚unendlich‘ fokussiert. Seit einer dreiviertel Ewigkeit stierte er in die endlosen Dimensionen von Raum und Zeit - wie weggetreten. Wie hatte es nur so weit kommen kön­nen? Eine einzige Katastrophe - und er spielte darin die Hauptrolle! Er hatte als Bester auf der Kriminal­polizeischule in Münster abge­schlos­sen. Jetzt saß er erneut da fest, wo er nie wieder hinwollte. Dort, wo er geboren war: im tiefsten, nein im höchsten Sauer­land. Dort, wo nach der Feststellung der Hauptstadt­presse „im Hort des Grauens die Katholiban hausen[1]“. Darum zog er weniger wohl und mehr übel wieder ins alte Fachwerkhaus seiner verstorbenen Eltern: Dabei hatte er gedacht, das verschlafene Hoperinghausen für im­mer hinter sich lassen zu können. Die hiesige Chefin hatte ihm abermals Bereitschaft aufge­brummt. Es war spät, er konnte wie seit dem Vorfall nicht richtig schlafen. Zuviel „Warum nur“ schwirrte ihm im Kopf herum. Wieder mal verbrachte er die Nacht nicht im Bett, sondern nebenan im Sturen Landmesser. Er war seit Stunden der einzige Gast. Der Wirt schnarchte in­zwischen längst in seinem Ohrensessel neben dem leise bollernden Kachelofen.

   Jo überlegte zu verschwinden. Wenn er sich jetzt schlafen legte, wälzte er sich wieder nur von einer Seite auf die andere. Also blieb er sitzen, wo er war: Auf seiner abgewetzten Eckbank, deren in die Jahre gekom­mener Stoff nur noch in seiner Erinnerung rot­weiß leuchtete, dämmerte er vor sich hin. Als in die Provinz zwangsversetzter Polizist hatte er viel Zeit zum Grübeln. Ein Glas trüber Apfelsaft, Alkohol kam bei Bereitschaft nicht in Frage, wartete vergeblich darauf, getrunken zu werden.

   Dabei hatte alles vielversprechend angefangen. Jo erinnerte sich noch genau an die aufregende Fahrt mit dem ICE nach Köln. Als er über die majestätische Hohenzollernbrücke die trägen Fluten des Rheins über­querte, bedeutete das für ihn das Überschreiten einer roten Linie: endlich am Ziel! Er bestaunte die Doppel­türme des Doms, die wie ein gigantisches Victory­zeichen in den tiefblauen Himmel ragten; schließlich erreichte er gleich seine Wunschstelle im Kölner Zen­trum. Die Einfahrt in den geschäftigen Hauptbahnhof, wie oft hatte er sich das vorgestellt! Wie er im Schatten der allgegenwärtigen Kirchen in der uralten Stadt ermittelte, seine erste Verhaftung, sein erstes Verhör. Dann dieser bescheuerte Anfängerfehler! Das gänzlich unerquickliche Gespräch mit dem Vizepo­lizei­prä­sidenten, die Versetzung, nein, eher Verban­nung zurück nach Hause. Ausgerechnet wieder ins Hoch­sauerland, als wüsste der Vize genau, wie er Jo am meisten ärgern könnte. Er hatte noch versucht, das Schlimmste zu verhindern, kapierte aber schnell, dass er nicht in der Position zum Verhandeln stand.

   Es dauerte eine Weile, bis etwas an seiner Auf­merksamkeit zupfte. Ein merkwürdiges, durch­dringen­des, immer wiederkehrendes Schrillen. Über­rascht scannten die Augen die Umgebung: ein fleckiger Holz­tisch, ein halbleeres Glas Apfelsaft in der Faust, im Hintergrund die hölzerne Theke. Die Standuhr zeigte zwanzig vor vier, allerdings Sauerländer Ortszeit, wie Tante Flitze zu sagen pflegte: Das Uhrwerk ging täg­lich nach. Was hatte seine Aufmerksamkeit erregt? Was? Das Telefon! Natürlich, jemand rief ihn an!

 

Fortsetzung auf der Spalte rechts

[1]http://www.taz.de/Flugzeugkollision-im-Sauerland/!5039300/ vom 24.06.2014

 

Fortsetzung der Spalte links

 

   Ungeschickt kramte Jo das Mobile aus der Tasche des Jacketts. Ein stilisiertes Blaulicht auf dem Bild­schirm blinkte im Takt mit dem Signalton. Tatsächlich: Die Einsatzzentrale! Ein Fall? Wohl kaum. Jetzt hockte er seit Wochen in seinem winzigen vermieften Büro unter dem steilen Dach der Polizeistation Brilon und kein Schwein hatte angerufen. Sicher verwählt. Der Anrufer blieb hartnäckig. Schließlich seufzte der Polizist. Er nahm ab.

   „Nigge?“

   „Hier is’ Beule, Einsatzzentrale, woll?

   Ah, ausgerechnet Paul Beule: „Was liegt an, Paul?“

   „N’Abend Jo, wir ham ’nen Einsatz.“

   Bestimmt ein besoffener Tourist aus den niederen Landen, der wissen wollte, ob die Sommerzeit auch im Sauerland gilt. „Um was handelt es sich?“

   „So wie’s aussieht, ham wer ’nen Toten.“

   Jo sog scharf die Luft durch die Nase ein. „Mord?“

   „Genau kann ich datt nich’ sagen, die Verbindung zur Streife is’ tinnef, wurde unter­brochen, praktisch Zero Empfang. Aber datt jemand tot ist, daran besteht kein Zweifel. Die Leiche is’ voller Blut. Was nich’ ge­rade ein Wunder is’, sitzt im völlig zerbeulten Auto unter ’nem umgestürzten Baum.“

   „Was ist los? Ein umgestürzter Baum ist auf einen Wagen gekracht? Ist das nicht eine Sache für die Strei­fenhörnchen von der Verkehrspolizei?“

   „Nö! Weil der Tote vorher einen auto­ma­tisierten Notruf abgegeben hat, datt ihn jemand über­fallen tut!“

   „Moment, das ist jetzt ein kleines bisschen verwir­rend. Ein Raubüberfall mit einem ... Baum? Wer hat denn alarmiert?“

   „Oh, dass is’ne irre Geschichte: Helmuth Höhle, ick buchstabiere: Heinrich-Ökonom-Heinrich-Ludwig-Emil, woll?“ Beule zögerte, offensichtlich wartete er auf einen Kommentar.

   „Ja, und?“

   „Tut’s nich’ klingeln?“  

   Jo durchforschte die Untiefen seines Gedächt­nisses: „Du meinst doch nicht etwa den Helmuth Höh­le, den singenden Wirt von der Upländer Alm?“

   „Abba genau den!“

   „Paul, das ist drüben in Willingen, das gehört zu Waldeck! Und das wiederum liegt in Hessen. Wieso läuft der Notruf bei uns auf?“

   „Also, der hat doch so’nen automatisierten Oschi von Notrufpieper bei sich, weil der praktisch mit de’ ganze Kasse durch’n Wald muss und dort niemals nie Handyempfang is’. Forderung von de’ Versicherung oder so. Das Ding is’ besonders stark und ’nen Funk­mast auf unserer Seite hat datt Signal gekricht. Die Ver­bin­dung ist schließlich abgebrochen. Darauf hab’ ick d’e Hessen informiert un’en Kalle rauf­geschickt. Der hat datt Malheur dann entdeckt. Aber d’e Funk­verbindung ist dann wie’er zusammen­geklappt.“

   „Kalle? Du meinst Karl-Heinz von und zu Wiegelmann? Ist das der verkappte Motorsportler? Gut, also Karl-Heinz und wer noch?“

   „Äh ... praktisch keener.“

   „Das ist gegen die Dienstvorschrift!“

   „Verdorrich nochma’, Pfingsten krank werden prak­tisch auch, woll? Den Kai-Maximilian hat’s doch kalt erwischt. Wir ham halt praktisch keenen mehr da.“

   Jo seufzte ergeben: „Gut, oder eben nicht gut. Wo ist der Tatort?“

   „Irgendwo im Wald, Moment, ah hier, ja praktisch zwischen Bruchhausen und Willingen, gleich beim Langenberg umme Ecke.“

   „Du, ich sitze praktischerweise in Hoperinghausen. Wo genau?“

   „Tja, im dichten Wald hat auch datt GPS kein richt’ges Signal, woll? Ick givv’ dir mal dem Kalle seinen letzten Standort.“

   Ein Signalton. „Okay, ich habe die Koordinaten er­halten.“

   „Am besten kommt de’ Kalle widder runner und holt dich in Hoperinghausen ab oder ihr trefft euch beim Skilift. Das Navi kannsse da oben vergessen.“

   „Ich weiß. Aber Kalle soll bleiben, wo er ist. Vielleicht ist der Täter noch im Wald und hofft darauf, dass Kollege Wiegelmann wieder geht - falls es kein Fehlalarm ist. Ich finde den auf jeden Fall.“

 

Interesse geweckt? Das Ende der spannenden und humorvollen Geschichte gibt es in meinem regionalen Kriminalroman!